Die nachfolgenden Zeilen entstanden am 02.04.2012 anlässlich unseres Trainingsurlaubs in Manavagat/Kizilagac/Türkei. Nach dem wir gestern unsere schwerste Einheit mit dem 18 km-Tempodauerlauf in Marathon-Renngeschwindigkeit absolviert hatten, erlebte ich wieder einmal, was Stress an den Menschen so alles anrichten kann.
Das so ein langer Dauerlauf im hohen Tempo Stress verursacht, ist uns meist allen klar. Dieser wird durch die Konkurrenzsituation in einer großen Gruppe noch verstärkt.
Aber was ist Stress eigentlich? Nachfolgend einige Erklärungen aus Wikipedia, deren Grundlagen von dem österreichischen Prof. Hans Selye gelegt wurden:
"Ausgangspunkt war die Auseinandersetzung eines Tieres mit einer akuten Gefahrsituation, zum Beispiel der Begegnung mit einem Fressfeind oder einem innerartlichen Aggressor oder einer physischen Gefahr wie Waldbrand etc. Das Tier muss dann in erhöhter Handlungsbereitschaft sein, was sowohl die Bereitschaft seiner Muskulatur und des Kreislaufs betrifft als auch seine zentralnervöse Aufmerksamkeit und Entscheidungsbereitschaft.
Deshalb löst z. B. die Ausschüttung des Nebennierenhormons Adrenalin eine vegetative Wirkungskette aus, die letztlich den Blutdruck und den Blutzucker sowie den allgemeinen Muskeltonus erhöht.
Im Gehirn wird die relativ langsame Verarbeitung des Großhirns in seinem Einfluss zurückgedrängt und schematische Entscheidungsmuster des Stammhirns werden mit Vorrang genutzt. Dies geschieht durch veränderte Ausschüttungsmuster von dämpfendem Serotonin und anregendem Noradrenalin in den betreffenden Gehirnteilen.
Das Tier kann dann rascher, wenn auch mit größerer Fehlerquote, reagieren. Die meist präzisere Einschätzung der Situation durch das Großhirn käme in der Gefahr oft lebensgefährlich langsam zustande.
Aus dem gleichen Grund muss die anfängliche Feststellung einer Gefahrsituation nicht bevorzugt über das Großhirn, sondern über schematisierte Auslösemuster erfolgen, auf die alte Stammhirn-Mechanismen reagieren: plötzlicher Schall oder plötzlicher Wechsel der Helligkeit, schrille Laute (Todesschreie) etc.
Dies ist der Zusammenhang mit den unspezifischen Stressoren des menschlichen Alltags, die ständig eine körperliche Reaktion auf vermeintliche Gefahren erzeugen. Das Schädliche daran ist, dass diese Körperreaktionen nicht ihre natürliche Abarbeitung finden."
Ich zähle einmal auf, was gestern unter dem Trainingsstress so alles passiert ist. Damit keine Rückschlüsse auf die Läufer(innen) möglich sind, sind auch keinerlei Hinweise auf Namen oder Geschlecht aufgeführt.
Dazu muss man wissen, dass dieser 18-er auf einer 2,5 km Wendestrecke gelaufen wurde. Das heißt, dreimal hin und her und dann zum Schluss noch einmal eine Wende bei 1,5 und zurück zu Start und Ziel. Start und Ziel waren mit einem deutlich erkennbaren "S" gezeichnet. Sie wurden von zwei von weitem sehr gut sichtbaren Verkehrsschildern auf exakt gleicher Höhe komplettiert.
Half aber nur bedingt: Person eins wendete dreimal an der falschen Stelle und schaffte es nicht – trotz meiner Hinweise – ein einziges Mal korrekt zu wenden.
Person zwei lief über 30 m über die Wende hinaus und drehte erst um, nach dem sie beinahe gegen den dort stehenden Bus geknallt wäre.
Person drei stoppte bei 15 km und war fest davon überzeugt, die 18 schon geschafft zu haben.
Person vier wendete beim vierten Durchgang nicht bei 1,5 km, sondern lief treu erst einmal noch 500 m weiter, bis sie bemerkte, dass sie auf dem falschen Weg war.
Da ich wie beschrieben, die untere Wende am Start stattfand, ist es als sicher anzunehmen, dass an der oberen genauso viele Fehler gemacht wurden.
Schon zwei Tage vorher schlug der Trainingslager-Stress mächtig zu. Wir liefen unsere traditionelle 3 x 3000 m Staffel. Zu jedem Team gehörten 3 Läufer(innen), die jeweils diese dreimal 3000 m laufen mussten. Gestartet wurde wie oben beschrieben an selbiger Stelle.
Wir richteten auch eine 2 m breite Wechselzone ein. Innerhalb dieser Zone musste gewechselt und dabei durfte die hintere Linie nicht überschritten werden. Wenn doch, gab es 10 sec Zeitstrafe.
Ein Läufer eines Teams startete an zweiter Stelle liegend nicht am Start/Ziel, sondern vor der Linie des Wechselraums. Prompt wurde diese überschritten und es gab die versprochenen 10 sec.
Das Schlimme an diesem Fehler war, dass sich das bestrafte Team später nur mit zwei sec Rückstand auf Rang zwei platzierte. Zur Ehrenrettung der Fehlerhaften muss aber vermerkt werden, dass diese alles tat, um ihren Fehler wieder gut zu machen.
Es gab nicht nur Stress in der Türkei. Hier unsere Gruppe 5 beim 35-er
Stress haben wir auch im Wettkampf. Versuchte ich früher auf den letzten 10% der Strecke meine Endzeit hochzurechnen, so gelang mir das kaum jemals, weil ich nicht in der Lage war, die schiefe km-Zeiten bis zum Ziel zu einer Endzeit hin zu addieren. Damals taufte ich diesen Zustand "Marathon-Doofheit".
Auch von anderen ist von einer erheblichen Fehlerquote unter Stress zu berichten. Ein junger Marathonläufer unseres Vereins stoppte einmal bei km 40 und meinte, er wäre im Ziel. Ein anderer bog direkt vor dem Zieleinlauf in eine Seitenstraße.
Ein Berliner Läufer war bei einem Straßen-Wettkampf auf dem Kronprinzessinnenweg mit Ziel im Mommsenstadion so "weg", dass er 500 m vor diesem Ziel in den U-Bahnhof Grunewald rein lief und ohne Hilfe nicht mehr aus diesem herauskam.
Bei einem Crosslauf bei uns in Seesen über vier Runden verlief sich der Führende in der letzten Runde und verlor damit dieses Rennen.
Eine Jugendmannschaft unseres Vereins, nahm als Favorit an einer Landes-Staffel-Meisterschaft in Ostfriesland teil. Leider vergaßen sie, vom Stress getrieben, die geforderte Stellplatzkarte abzugeben. Das bedeutete den damaligen Regeln nach: Die Mannschaft ist nicht angetreten und wird somit disqualifiziert. So konnten sie ohne Wettkampf gleich wieder die fast 300 km lange Heimreise antreten. Das war damals ein schwerer Schlag für die Jungen.
Die Anzahl der Läufer und Läuferinnen ist schon Legende, die sich ihre Traumzeit "vergurkten", weil sie beim Halbmarathon vergaßen die 92,5 m nach den gelaufenen 21 km mit einzurechnen oder analog dazu die 195 m nach den absolvierten 42 km.
Solche Beispiele könnte man noch weiter führen, auch in deinen Erinnerungen werden kapitale Fehler gespeichert sein. Was können wir aber machen, um Fehler unter Stressbelastung zu vermeiden? Einfach auswendig lernen! Ein Wendepunkt solltest du möglichst mit drei gut erkennbaren Zeichen belegen und dir diese vor dem Start mehrfach vor Augen führen.
Die Rechenschwäche auf dem letzten Abschnitt eines Rennens kannst du umgehen, wenn du nur mit gerundeten Zeiten arbeitest. Mein Mittel war dazu für jeden der letzten fünf km zum Ziel hin, einen 4 min/km-Schnitt zu kalkulieren. Von dieser Grobannahme aus startete ich dann eine Hochrechnung auf die zu erwartende Endzeit (Was ich gerade noch so hin bekam!). Wenn ich dann beim nächsten km schneller war, dann wusste ich, dass die Endzeit besser wird als geschätzt.
Eines aber sollte ich dir noch verraten: Wenn es dir gelingt innerhalb so eines Endkampfs jeden km auf die Sekunde genau aufzuaddieren, dann wird dein geistiger und körperlicher Einsatz wohl nur geringe leistungssportliche Tendenzen aufzeigen. Oder anders ausgedrückt: Du setzt dich nicht genug unter Stress.