Es war Ende April. Die Crosssaison hatten wir hinter uns, jeder hatte zwei bis drei 25 km-Wettkämpfe hinter sich und mindestens einen Frühjahrsmarathon durchgeprügelt. Und jetzt ging es erstmals auf die Bahn, auf die Aschenbahn. Wir standen voll im Saft, das bisschen Bahntraining sollte uns doch nicht schrecken.
Grundsätzlich standen in jedem Jahr als erste Bahneinheit 20 x 400 m mit 100 m Geh- und 300 m Trabpause auf dem Plan. So ein paar Meter auf der Bahn sollten uns doch nicht schrecken. Den ganzen Winter hatten wir uns mit 3 x 3000, 10 km Tempoläufen und ähnlichem oder viel Schlimmeren herum geschlagen. Was ist denn da eine Runde schnell mit einer langen Pause?
Die Erfahrenen bewegten mit sorgenvoller Miene den Kopf nach rechts und links und pressten die Lippen aufeinander. Die Jugend alberte umher, es schien ihnen alles lächerlich leicht zu sein. "Die Vorgabe unterbiete ich um 5 sec", ein anderer aber: "So schnell? Das schaffe ich nie."
Start! Die Meute der Läufer schoss los wie die Hunde hinter dem Hasen. Bis 200 m locker, dann wurde das Tempo deutlich ruhiger und auf den letzten 100 m begann das Sterben. Der Trainer lästerte vom Rand her etwas von Jogging, "bitte nicht umfallen" und späterer Mund zu Mund Beatmung.
Im Ziel dann entweder Barrierenhang oder Kniestütze. Alles keuchte, pfiff oder fluchte. "Das gibt es doch gar nicht, 5 sec drüber. Ich bin letztes Jahr die 5000 m im Schnitt schneller gelaufen als jetzt diese eine Runde." Die Erfahrenen hoben ihre Stimme: "Das ist jedes Jahr so, die ersten 400-er schaff'ste nie, aber beim zweiten Mal wird es schon besser und beim dritten Mal geht es locker."
Selbst die Jugend hielt nun vorübergehend die Klappe. In der Trabpause wurde dann eine neue Taktik besprochen. "Wir müssen langsamer angehen!" Allgemeine Zustimmung. Aber nach dem nächsten Start witterte plötzlich einer von den schwächeren Läufern Morgenluft und rollte von hinten die ganze Trainingsgruppe auf, die sich natürlich wehrte und langsam angehen zu den Akten legte.
Und im Ziel wieder das gleiche Gejammere. So nach der fünften Wiederholung dann, war die Gruppe im Rhythmus. Jeder 400-er in der gleichen Zeit, maximal 1 - 2 sec Abweichung. Es war auch kein Problem diese 20 Runden zu beenden, Kondition war ja da. Nur dieses dämliche hohe Tempo war zu hoch. Ausdruck dessen war der wütend dahin geworfene Ausruf eines Läufers im Ziel: "In meinem Blut kannst du Gurken einlegen!"
Einige wussten sich aber zu helfen, die machten nur fünfzehn 400-er. Das erstaunte niemanden. Wenn der Trainer fünfzehn Mal sagte, machten sie 10 und wenn es zwanzig waren eben 15. Hauptsache weniger. Ob das einen Sinn hatte oder nicht war egal. Es spielte eben der Gedanke die Hauptrolle: "Wenn der Trainer sagt 20 Mal, dann ist das schwer. Wenn ich dann nur 15 laufe, ist das leicht." Läufer- und speziell Läuferinnen-Logik.
Ja, so war das in den 80- und 90-er Jahren, als der Schreiber dieser Zeilen an manchen Mittwochabenden mehr als 25 Läufer(innen) um die Bahn scheuchte.
Warum aber verlangte ich damals von diesen Sportler(innen) das sie ein Tempo laufen sollten, von dem ich schon vorher wusste, dass die meisten es beim ersten Mal kaum schaffen würden? Es war die Erfahrung, dass viele Langstreckenläufer - speziell die Marathonspezialisten - so ein Bahntraining nicht hassten. Sie waren nach dem Frühjahr stolz auf ihre gelaufenen Zeiten und fühlten sich schnell.
Jetzt aber standen 3000, 5000 und 10000 m Bahnwettkämpfe auf dem Programm und dazu brauchte man Schnelligkeit und Tempohärte. "Schnell sind wir doch. Ha'ste gesehen wie ich Holger beim letzten 25-er im Spurt abgezogen habe?" Ja, hatte ich gesehen, das waren 30 m bis zum Ziel. Die Schnelligkeit über längere Dauer war aber bei den meisten eine Fiktion.
Also musste ich diese Träumer runterholen von ihrem Thron und die Ängstlichen aufbauen. Diese erste 400 m-Einheit zeigte allen, wo sie standen. Die einen murmelten: "Ich muss was tun, dass war ja ätzend auf den letzten Metern." Andere meinten: "Ich hätte nie gedacht, dass ich so schnell laufen kann. Es fehlen zwar 6 sec auf die Vorgabe, aber ich bin eben langsam."
Jeder hatte nun seinen Standort und daran konnten, mussten wir jetzt arbeiten. Hätte ich die Vorgabezeiten deutlich niedriger angesetzt, wäre in den Köpfen nicht der Drang nach Verbesserung geweckt worden.
Ich mache das heute noch so innerhalb meiner individuellen Trainingspläne. Die 20 x 400 m traue ich mich zwar nicht mehr zu verschreiben, weil ich eine Revolution oder eine Meldung bei Amnesty befürchte. Altersweise lasse ich es bei 15 x 400 m.
Aber das hohe Tempo bei der ersten 400 m-Einheit gibt es immer noch. In den meisten Plangruppen steht in diesem Monat so eine Einheit auf dem Plan. Und das ist schon ganz lustig, was für Anrufe kamen. "Du hast dich verschrieben, bei mir stehen 82 sec für 400 m im Plan, das schafft kein Mensch." Doch, antwortete ich du und es bleibt dabei. Du wirst sehen, es geht.
Ein anderer Anruf: "Dein Computer hat bei mir einen Fehler gemacht. Ich soll 74 sec auf den 400 laufen, das sind 3:05 min auf 100 m. Und ich kann die höchstens in 3:20 min laufen!" Ich kannte den Anrufer gut und antwortete: "Du Flachschraube sollst auch nicht 1000, sondern nur 400 m laufen." "Aber das ist zu schnell!" Und weil ich ihn nicht nur gut, sondern ziemlich genau kannte, konnte ich ihm versichern, dass er die Vorgabe sicher schaffen würde. Geglaubt hat er mir aber nicht.
Die Einheit stand am 13.5. auf dem Plan. Wenn er jetzt diese Zeilen liest, dann wird er mich wieder anrufen und entweder stolz berichten, dass er die Vorgaben erfüllen konnte oder mich als Schinder beschimpfen, weil er es nicht geschafft hat.
Warum ich dir das alles schreibe, hat nur einen Grund. Ich möchte dich auch etwas schneller machen. Und dazu gehören die 400 m-Läufe. Die ganze Welt trainiert diese eine Stadionrunde. Du solltest auch einmal eine Einheit mit 10 - 15 Mal 400 m versuchen. Du darfst dir auch aussuchen, ob du 400 oder 600 m Trabpause machst.
Und jetzt werde ich dich einmal richtig bangemachen. Hier ist deine Vorgabe und wie du sie errechnest:
Aktuelle 10 km-Wettkampfzeit minus 30 sec geteilt durch 30 sec. Zum Verstehen in Zahlen. Du hast eine angenommene aktuelle Leistungsmöglichkeit von 50:30 min/10 km. Davon zieht du jetzt 30 sec ab. Das sind 50 min. Die rechnest du jetzt in sec um, 50 x 60 = 3000 sec. Diese teilst du dann durch den Faktor 30. Und dann hast du schon das Resultat von 100 sec oder anders gesagt 1:40 min.
Über diesen Rechner geht es etwas einfacher!
Und nun bis du dran. Wette, dass du es nicht zehnmal hintereinander schaffst sie zu laufen! Aber bitte nicht mailen, denn ich weiß, dass ich 1. ein Menschenschinder bin, es 2. auch Leute gibt, die alle 400-er locker in der Vorgabezeit schaffen und unter uns auch Personen herumschleichen, die im Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit saumäßige Zehnerzeiten haben.
Im Zusammenhang mit "Menschenschinder" fällt mir noch eine Geschichte ein. Als ich als Anfänger 1972 erstmals beim Training des SCC Charlottenburg in Berlin auftauchte, lies mich der damalige Trainer Herman Brecht 5000 m im höchstmöglichen Tempo laufen. 16:20 min, ich war fix und alle. Dafür durfte ich mich auch 3 Runden auslaufen und dann kamen noch einmal 400 m mit maximaler Leistung aber fliegendem Start dran. 54 sec. Scheintot war geschmeichelt.
Du kannst es ja auch mal versuchen, es war einfach umwerfend. Das war die Steigerung von Menschenschinden. Aber dem Himmel sei Dank, ich habe es damals nicht so empfunden. Es gab in diesen Zeiten kein zu hartes Training, nur zu schlaffes. Die Trainingsjammerei ist eine Erfindung der Neuzeit.
Damit ich mich bei dir wieder etwas in ein besseres Licht stelle, kannst du an dieser Stelle in der nächsten Woche lesen, wie man sich etwas ruhigere 400 m-Wiederholungsläufe errechnet, die man auch im Marathontraining einsetzen kann. Aber erst läufst du die harten Dinger von heute. Ich hoffe, dass habe ich deutlich genug ausgedrückt. Denn du gehörst doch nicht zu den Hohlkörpern, Flachhechlern oder Trainigsfrierern?