Im letzten Monat schrieb ich schon über die Risiken, die eine zu hohe Intensität im Winter herein bringt. Aber es gibt auch das andere Extrem, welches die Übervorsichtigen in unsere Szene tragen. Im letzten Monat schrieb mir ein Clubmitglied: "Ich kann doch nicht zweimal in der Woche bis an den Anschlag laufen, das ist ja Wettkampf".
Das war ein ziemlich unerfahrener Mann, der bisher nur im Lauftreff trainiert hatte und für diesen Treff war das Wort "Anschlag" ein Gefahrensignal. Mit "Anschlag" drücken wir einen Trainingslauf aus, den wir am Rande unserer Möglichkeiten rennen und mit aller Kraft versuchen, eine möglichst schnelle Zeit zu laufen. Unerfahrene Läufer(innen) haben dabei das Gefühl, dass sie sich ebenso wie im Wettkampf anstrengen.
Das ist aber mitnichten so, weil sich die hormonellen Verhältnisse zwischen Training und Rennen deutlich unterscheiden. Im Wettkampf werden erheblich mehr Stresshormone ausgeschüttet, die dem Organismus dann auch erlauben mehr zu leisten. Ein 10 km-Tempolauf sollte auch mit höchsten Einsatz immer 1,5 - 2 min langsamer sein als ein Wettkampf. Dann sind die Verhältnisse bei dem Trainierenden in Ordnung und es liegt kein Übertrainingszustand vor.
Je enger Trainings- und Wettkampfleistung zusammen liegen, desto kritischer sollte jeder sein eigenes Training betrachten. Dabei muss natürlich darauf geachtet werden, ob die Verhältnisse immer gleich sind. Wenn plötzlich ein gleichstarker Fremder in der eigenen Trainingsgruppe auftaucht, verschieben sich die Verhältnisse mehr von Übung in Richtung Wettkampf.
Und so gilt eine Regel: Ab Ende Februar solltest du bei den langen Tempodauerläufen >= 10 km nicht nur an den "Anschlag" gehen, sondern mit aller Kraft versuchen eine möglichst schnelle Endzeit zu erzielen. Dann ist z.B. die Zeit, die ich dir für einen 10 km-Tempodauerlauf eintrage, nur eine geforderte Mindestleistung. Wenn du schneller kannst, dann renne auch schneller. Natürlich wirst du dich fragen, warum ich denn nicht gleich eine schnellere Zeit für dich eintrage.
Dies ist Absicht, denn es kommt im März schon oft zu ganz erheblichen Formsprüngen. Diese kommen aber individuell und nicht kollektiv. Trage ich nun für alle eine schnellere Zeit ein, wird derjenige, der noch nicht so fit ist, an dieser Vorgabe verzweifeln. So ist es schon besser, dem Formstarken die Freude daran zu lassen, die Planvorgaben klar zu unterbieten und den Formschwachen nicht mit einer nicht erfüllbaren Forderung zu nerven.
Eine Warnung noch: Es ist anzunehmen, dass du diese Zeilen schon Anfang Februar liest und dich dann gleich hochmotiviert daran machst und die große Trainingskeule schwingst, um auf deinen alten Bestzeiten herum zu prügeln. Wenn dem so ist, dann mache ich dich darauf aufmerksam, dass du diese Keule frühestens in der letzten Februarwoche auspacken solltest. Je später deine Hauptwettkämpfe sind, desto länger lasse die in deiner Sporttasche.