"Gewonnen und verloren wird immer im Kopf" oder "Es ist immer der Geist der aufgibt, niemals der Körper." Das war der Titel eines Vortrags, den ich in diesem Jahr schon dreimal gehalten habe und dem neuere südafrikanische und australische Forschungen zu Grunde liegen.
Auch die deutsche Ausgabe von Runners World hat sich in ihrem Oktoberheft 2008 in einem sehr schönen Artikel mit diesem Thema auseinandergesetzt. Viele von uns, es werden sogar die meisten sein, sind der Meinung, dass die Erschöpfung des Körpers ein objektives Signal des Organismus ist, dass er nun, wie wir sagen, alle ist und nicht mehr kann. Wenn du schon einmal einen Marathon gelaufen bist, in dem du am Ende eingebrochen bist, dann weißt du, was ich mit "alle sein" meine.
Erklärt wird die Erschöpfung oder Müdigkeit mit Argumenten wie: Muskelschmerzen, Hungerrast, Energielosigkeit, keine Lust mehr (warum?), dicke oder schwere Beine, Atemnot, zuviel Laktat, niedriger Blutzuckerspiegel oder Glykogen alle. Dir fallen sicher noch ein paar mehr Argumente ein.
Wissenschaftlich wurde angenommen, dass es zu einem Leistungszusammenbruch kommt, wenn das körperliche Gleichgewicht (Homöostase) nicht mehr gegeben ist. Wie zum Beispiel, wenn der Säurerest des Laktats das Blut so ansäuert, dass bestimmte Enzyme nicht mehr arbeiten können. Wenn dann nun dieses Erschöpfungssignal, welches ja nicht vom Körper selbst kommt, sondern dir das Gehirn vermittelt hat, objektiv ist, dann müssen wir uns einige Fragen stellen. Wie kann es denn dann sein, dass jemand, der sich im Rennen völlig erschöpft fühlt, am Ende doch noch zu einem Endspurt fähig ist? Richtig ausgeschöpft war er dann ganz sicher nicht. Er hatte nur "so ein Gefühl" nicht mehr zu können.
Noch mehr Fragen müssen wir uns stellen. Warum können, den Versuchen von Ikai et al nach, elektrische Muskelreize noch maximale Kontraktionen der Hand auslösen, wenn es willentlich bei den Versuchspersonen nicht mehr möglich ist? Weil die Versuchsteilnehmer nach einer Serie von maximalen Kontraktionen an einer Handpresse durch völlige Erschöpfung nicht mehr in der Lage dazu waren, diese wie vorher zusammenzudrücken.
Wenn man den Kraftverlust durch eine Serie von maximalen Kontraktionen willkürlich und elektrisch ausgelöst untersuchte, nahm die willkürlich erzeugte Kraft um 60% ab und die elektrisch erzeugte Kraft nur um 40%. Das heißt nichts anderes, als das unser Gehirn uns Erschöpfung meldet, wenn noch genug Kraft da ist. Es hat sich in der Evolution wahrscheinlich ein Schutzmechanismus entwickelt, der uns schon bremst, bevor wir wirklich erschöpft sind, um noch Leistungsfähigkeit vorzuhalten, wenn es wirklich an das "Eingemachte", wie zum Beispiel im Kampf um das eigene oder das Leben seiner Familie geht.
Eine immer wieder angeführte Begründung für eine Erschöpfung im Rennen und speziell im Marathon ist ein Leistungsabbruch durch Glykogenmangel. Aber schon 1991 teilte Prof. H. Buhl auf einen Trainerseminar des DLV's mit. Dass er selbst nach einem Rennen Muskelbiopsien bei völlig "ausgeknautschten" Marathonläufer vorgenommen habe, die schworen, dass sie keinen Meter mehr hätten laufen können. Es fand sich in deren Muskulatur aber noch genügend Glykogen, um viele km mit Tempo weiter laufen zu können.
Mir selbst war damals schon klar, das die Erschöpfung nicht allein von mangelndem Glykogen kommen konnte. Denn am Ende eines Marathons fühlt man sich manchmal sterbensschwach, um sich 2 bis 3 min später wieder leistungsfähig zu fühlen. Es muss also in uns etwas geben, was uns wissen lässt, dass wir jetzt erschöpft sind oder auch nicht.
Wer und wie wir gelenkt werden, dass wissen wir noch nicht ganz genau, aber man kommt der Sache näher. Man geht heute in einer Theorie davon aus, dass im Gehirn ein "Central Governor", eine zentrale Steuerung sitzt. Runners World schrieb dazu:
"Diese Central Governor Theorie erklärt auch die Endspurtfähigkeit. Der Theorie zu Folge wertet das Gehirn während der körperlichen Belastungsdauer laufend Signale von Muskeln, Blutstrom und anderen Regulierungssystemen aus, um jederzeit die Frage zu beantworten: "Wie lange kann mein Körper die gegenwärtige Arbeitsleistung noch aufrecht erhalten, bevor das System zusammenbricht?" So bald die Antwort "nicht mehr lange dauert" lautet, reduziert das Gehirn die motorische Leistungsabgabe der Muskeln, wobei es die beschriebenen Symptome des Leidens generiert, um den Sportler zu einer Reduzierung seines Einsatzes zu zwingen.
Kommt jedoch die Ziellinie in Sicht, gestattet das Gehirn wieder die Erhöhung des Tempos, das es sich wissentlich nur um einen kurzen Zugriff auf die Reserven handelt. Das Gehirn schränkt auf dem Mittelstück der Strecke die Muskelaktivierung bewusst ein, um stets eine körperliche Reserve für den Schlussabschnitt verfügbar zu halten, beschreibt Dr. Frank Marino, Leiter der School of Movement Studies an der australischen Charles Stuart University, dieses Phänomen."
Das ist eine ganz spannende Sache, beschreibt diese Theorie doch auch warum die Läufer(innen) des Greif-Clubs, die nach meinen Marathon-Plänen mit Endbeschleunigung trainieren, so überaus erfolgreich sind. Schon 1986 schrieb ich in dem immer noch so populären Trainingsplan "Countdown zur Bestzeit" über die Endbeschleunigung: "Der wichtigste Punkt scheint aber von psychischer Natur zu sein. Wer gelernt hat, am Ende eines harten Trainings noch einmal richtig aufzudrehen, verliert die Angst vor den letzten Marathonkilometern völlig." Das Gehirn lernt, dass der Organismus in der Lage ist, auch schon im Mittelteil einer harten Belastung hohe Leistungen zu akzeptieren.
An dieser Stelle möchte ich eines hinzufügen: In Gesprächen und in Schreiben an mich, kommt oft zum Ausdruck, dass mich eine nicht kleine Anzahl von Läufer(innen) für den Erfinder der Endbeschleunigung halten. Das bin ich leider nicht, denn die Endbeschleunigung ist ein altes Trainingsmittel.
Aber der Erfinder der immer länger werden Endbeschleunigung innerhalb der längsten Trainingseinheit von 35 km im Marathontraining bin ich schon. Schon 1984 stellte ich diese Form des Trainings auf einem DLV-Lehrgang vor und erntete Hohn und Spott und aggressive Angriffe der damaligen Dozenten. Hat mich aber nicht so sehr tangiert, denn ich wusste, dass diese Form des Trainings funktioniert und habe einfach weiter gemacht.
Und siehe da, jetzt gibt es auch eine Theorie zu der alte bewährten Praxis.
In der übernächsten Ausgabe unseres Newsletters werden wir uns noch mal mit dem obigen Thema beschäftigen und dabei auch betrachten, wie wir uns im Training verhalten müssen, um das Gehirn auszutricksen, wenn es wieder einmal Erschöpfung meldet.