Sind Sie ein Lauf-Talent? Oder meinen Sie eher Sie gehören zu denen, die immer in der 2. und 3. Reihe stehen werden? Sehen Sie immer andere, die schneller vorwärts kommen als Sie und meinen, die können es besser? Urteilen Sie nicht vorschnell! Am meisten täuscht man sich über das eigene Talent. Fast immer sind unerfahrene Läufer(innen) viel leistungsfähiger, als sie denken. Das einzige was diesen Leuten fehlt, ist der Glaube an die eigene Leistungsfähigkeit.
Ein Langstrecken-Lauf-Talent zu erkennen ist sehr schwer, man irrt sich oft. Selbst der Schreiber dieser Zeilen kann nicht sicher eine Hochbegabung erkennen. Oft genug habe ich mich getäuscht. Einige Athleten(innen) über- andere unterschätzte ich. Im späteren Verlauf dieses Artikels werde ich Ihnen noch von Achim und Andreas erzählen, dann werden Sie sehen, was alles passieren kann.
Denken Sie auch oft, dass es viele im Sport leichter haben als Sie, mehr Zeit zum Training und sich vor allen Dingen nicht quälen müssen? Auch das ist meistens ein Fehlschluß. In der Regel antworten überdurchschnittlich gute Läufer(innen), wenn man sie nach ihrem Talent fragt: "Ich bin kein Talent, ich habe mir alles erarbeitet!" Ein guter Läufer besteht aus 10% Ehrgeiz, 10% Talent und 100% Training. Lächeln Sie ruhig, natürlich sind das 120%, aber es trifft das, worum es wirklich geht.
Die Geschichte von Achim und Andreas
Und nun zu der Geschichte von Achim und Andreas: Im Jahr 1981 - das war das 1. Jahr des Bestehens unserer Langstreckengruppe in der LG Seesen - stieß mit Achim ein 18-jähriger junger Mann aus der eigenen Leichtathletik-Abteilung zu uns. Ohne Achims Fähigkeiten abzuwerten, waren die froh, ihn los zu sein, denn durch großes Talent fiel er dort nicht gerade auf. Gleichzeitig sammelten wir im Winter den 22-jährigen Andreas auf. Dieser kam von der Bundeswehr, hatte eine gute Grundkondition und joggte allein im Wald, wo wir ihn ansprachen. Beide trainierten fleißig und entwickelten sich gut. Im August lief Andreas schon 16:39 min über 5000 m, Achim war mit 17:47 eine ganze Klasse langsamer.
Im kommenden Jahr rannte Andreas schon 15:01 über die 12,5 Stadionrunden und Achim verbesserte sich auch, kam aber "nur" auf 16:38. Ersterer war jetzt schon Bester im Verein und galt als das große Talent. Bei 1:23 über 25 km träumten wir alle in unserer Gemeinschaft schon von seiner großen Laufkarriere. Achim hingegen kam nur auf Rang 8 in der Clubwertung.
1983 dann: Andreas lief 2:23:15 im Marathon und 14:45 über 5000 m, Achim 2:37 und 16:40. Wir hoben Andreas in den Himmel, aber täuschten uns, denn das Zauberspiel war schon vorbei. Obwohl er immer mehr trainierte, kam er nicht mehr weiter. Nur noch marginale Fortschritte waren zu verzeichnen. 1986 war er praktisch immer noch auf dem gleichen Leistungsstand wie 83. Völlig frustiert verließ er unseren Verein, stagnierte im neuen Club weiter und beendet in 1988 seine Laufkarriere.
Achim aber machte unverzagt weiter: 1984 lief er 2:31 im Marathon und 16:06 über 5000 m, 1985 2:28 und 15:59, 1986 2:31 und 16:10, 1987 2:26 und 16:18 und schließlich 1988 2:24 und 15:21! Nach fast identischen Startbedingungen und Training erreichte Achim 5 Jahre später fast das gleiche Leistungsniveau wie Andreas. Dabei hatten wir von Andreas alles erwartet, von Achim nur wenig.
Dazwischen lagen harte Trainingsjahre und auch viel Hoffen und Bangen. Achim hat aber aus seinem Talent gemacht was möglich war. Es waren viele Läufer(innen), die in den langen Jahren bei uns, die im wahrsten Sinne des Wortes besten Laufzeiten erlebten. Aber heute kann ich sagen, Achim war mein Lieblingsschüler.
Nach beendetem Studium heiratete er, wurde Vater, zog weg von Seesen und machte völlig Schluß mit dem Laufen. Das war bis zum Ende des letzten Jahres so, da tauchte er anlässlich eines Verwandtenbesuchs wieder bei unserem Training auf. Die frohe Nachricht war: "Ich laufe wieder etwas, denn ich muss so ein paar Jungs mal zeigen was eine Harke ist!"
Fazit: der eigene Fortschritt zählt
Wie Sie aus den vorhergehenden Zeilen entnehmen können, ist es nicht nötig nach den anderen zu schielen, die schneller weiter kommen, auch die erreichen irgendwann das Ende ihrer Leiter. Betrachten Sie nur Ihren eigenen Fortschritt, auch Sie haben die Chance auf Ihrer persönlichen Leiter aufzusteigen. Wenn Sie natürlich zaudern und glauben Sie haben nur eine ganz kleine Talentleiter, dann klappt es nicht mit dem Spezialgegner oder der Traumzeit. Glaube versetzt Berge, überholt Holger Meiers und macht die 3 h zu einer Jogging-Zeit!