Ist dir als langjähriger Leser dieses Newsletter aufgefallen, dass ich hier ganz selten über Laufstil berichtete? Natürlich haben wir im Jahr 2012 eine einmalige High Speed Videoanalyse von Läufern und Läuferinnen gemacht.
Dennoch nehme ich mich zurück mit Hinweisen und Übungen auf eventuelle Stilfehler beim Laufen. Und trotz dieser Zurückhaltung halte ich einen guten Laufstil für sehr wichtig. Wenn du dir die obigen Videos angeschaut hast, wirst du sehen, dass die schnellsten Leute auch den besten Laufstil haben.
Warum aber, bilden wir in unseren Laufurlauben nur in ganz geringen Maßen die Laufstile aus? Die grundsätzliche Frage zum Bewegungsablauf eines Läufers ist, ob er durch schnelles Laufen einen guten Stil bekommen hat oder durch eine gute Laufschule schnelles Laufen gelernt hat.
Diese Frage kann niemand lösen, denn wenn man selbst bei einer Kindergruppe, die alle einen schlechten Laufstil haben, versucht deren Bewegungsablauf zu optimieren, teilt sich die Gruppe in optimal Laufende, andere mit mittelmäßigem Laufverhalten und die Latscher.
Das alles bei gleichem Trainingsverhalten. Oder geben die unbegabten Jugendlichen die Laufschule auf, weil sie sich einfach schlecht fühlen?
Das wird es sicher viele Male geben, aber auch im erwachsenen Alter gibt es eine erhebliche Anzahl von Läufern und Läuferinnen, die einfach nicht ästhetisch laufen können und gar nicht erst versuchen, sich in diesem Bereich zu verbessern.
Von dieser Gruppierung kann ich als Trainer ein Lied singen. Wenn Laufschule angesagt wurde, verdunsteten diese Leute blitzschnell. Sie trugen sinnbildlich die Fahne vor sich mit der Inschrift: „Latscher bleibt Latscher!“
Diese ganzen Gedanken könnte man noch lange diskutieren. Aber jetzt versucht man sich dieser Sache zu nähern. So schneite mir am 10.09.15 vom Informationsdienst Wissenschaft - idw – eine Pressemitteilung herein, mit dem Titel:
Sportwissenschaftler und Mediziner der halleschen Universitätsmedizin sind mit wissenschaftlichen Methoden dem idealen Laufstil auf der Spur. (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Wie sieht der optimale Laufstil aus? Und was machen Profi-Sportler anders als Freizeit-Läufer?
Das will Doktorandin Svenja Großmann für ihre Dissertation in einer Querschnitt-Studie mit dem Titel „Kinematische und dynamische Laufparamete in Abhängigkeit von Laufgeschwindigkeit und Qualifikation“ herausfinden.
„Der ideale Laufstil hat nicht nur Einfluss auf die Schnelligkeit und spart Kraft, sondern er wirkt sich auch gesundheitlich positiv auf Gelenke und Muskulatur aus“, sagt PD Dr. Schwesig, der Betreuer der Arbeit. Eine Korrektur des Laufstils könne also dazu führen, ökonomischer zu laufen und die Leistung zu steigern.
Deshalb sei ein Ziel der Laufstilanalyse, Hinweise zu geben, wie Sportler Verletzungen verhindern, ihre Gelenke schonen und das Stütz- und Bewegungssystem entlasten können. Zudem können die Erkenntnisse auch in der Rehabilitation von Nutzen sein.
Ein wichtiger, aber bisher eher vernachlässigter Faktor ähnlicher Studien sei zudem die Laufgeschwindigkeit, so die halleschen Wissenschaftler. Diese könne durchaus Einfluss auf den Laufstil haben, besonders in Bezug auf Parameter wie die sogenannte Standphase, die Schrittdauer und -länge oder auch den Fußwinkel.
Primäres Ziel der Untersuchung ist deshalb, die Erhebung von Laufparametern in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Ein weiteres Untersuchungsziel ist zudem die Modellierung der Laufbewegung im Sinne der Leistungsmaximierung.
Insgesamt sollen 400 Probanden für die Studie untersucht werden. Neben Hobbysportlern sind darunter auch Profis hallescher Sportvereine sowie Trainingsgruppen beispielsweise aus dem Triathlon-Bereich.
So sollen die Unterschiede in den Laufstilen zwischen Profi- und Hobbyläufern ermittelt werden. Anhand der umfangreichen Fallzahl an Studienteilnehmern ist es möglich, eine Referenzdatenbank aufzubauen, die für weitere Laufanalysen als Informationsquelle hilfreich ist und in dieser Form bisher nicht existiert.“
Ich bin gespannt, ob die Wissenschaftler uns Läufer und auch Trainer helfen können. Da bin ich sehr skeptisch. Denn was zeigt die Praxis? In den ersten 10 - 15 Jahren meiner Arbeit mit Breiten-und Spitzensportlern zeichnete sich folgendes ab:
Wir boten in unseren Trainingsurlauben allen Teilnehmer eine Laufschule an. Laufschule heißt, den optimalen Bewegungsablauf beim Laufen zu lernen.
Wir gingen folgendermaßen vor, indem wir mittels einer Läuferin oder Läufer zeigten, wie ein optimaler Bewegungsablauf aussehen sollte. Einige Teilnehmer führten dann die Laufschule vor. Das waren meist meine Athleten und Athletinnen aus der LG Seesen, die diese Übungen beherrschten.
Danach baten wir jeden einzelnen Teilnehmer über eine Strecke von 50 Meter zu laufen. Und das Ganze jeweils hin und zurück im Tempo eines ruhigen Dauerlaufs.
Dann wiederholten wir das über die gleiche Distanz mit einem Tempolauf in etwa Marathon-Renntempo. Danach wurde jeder Läufer und jede Läuferin beraten, ob sie einen optimalen Bewegungsablauf hatten oder sie etwas verbessern müssten.
Wir wiesen auf die Fehler hin und zeigten auch die Übungen, wie man diese ausmerzen kann. Das empfanden die meisten als sehr gut, aber es war doch ein hoher Anteil der Übenden, die meinten, wir hätten ihren Laufstil nicht korrekt bewertet. Sie meinten, ihr Stil wäre besser als die Beurteilung.
Es entstand eine Riesendiskussion um diese Sache, aber schließlich und endlich schworen alle, zuhause kräftig zu trainieren und beim nächsten Mal vorzuführen, was sie gelernt hatten.
Sehr schön, wir waren voller Vertrauen, dass ein Jahr später dann die Bewegungsabläufe deutlich besser sein würden. Und was passierte im nächsten Jahr? Nichts, es war unglaublich, nicht eine einzige der Personen hatte ihren Laufstil geändert.
Wir waren völlig frustriert und konnten es schier nicht fassen. Auf Nachfrage berichteten sie, dass sie zumindest einmal in der Woche ein paar Laufschulübungen eingestreut hätten.
Nachgedacht kam ich auf den Trichter, dass diese Teilnehmer sich ja nicht selbst sehen können und somit auch keine Fortschritte erzielen konnten. Zudem sie zu Hause praktisch alle ohne Trainer arbeiteten.
In einem der nachfolgenden Jahre holten wir uns einen Videospezialisten, der mit der großen Kamera alle Teilnehmer in diesem Trainingsurlaub filmte. Das Procedere lief so, wie oben beschrieben. Wir zeigten jedem Einzelnen seine Schwäche. Und gaben abermals Hinweise, zuhause kräftig zu üben.
Nun waren wir davon überzeugt, dass beim nächsten Trainingslager dann alle mindestens eine kleinen Fortschritt erzielt haben müssten. Erwartungsvoll führten die Läufer und Läuferinnen ihre Künste vor.
Und? Nichts! Ich hätte mich fast auf den Boden werfen können, weil abermals keiner der Übenden auch nur einen kleinsten Fortschritt aufzeigen konnte.
Aber Nachdenken soll ja helfen und das tat ich. Mir wurde klar, dass ein Läufer oder eine Läuferin ohne eine zweite beobachtende Person sich nicht verbessern kann. Denn die Übenden können nicht selbst fühlen, wie sie sich bewegen müssten, um einen sauberen Laufstil zu entwickeln.
Erfolg erzielen können die Betroffenen erst, wenn sie zuhause mit jemand arbeiten können, der die Akteure filmt und anschließend die Bilder vorführen kann. Erst dann mit der Kritik und den Hinweisen des Trainers, sowie des selbst gesehenen Bilds, hat der Läufer eine Möglichkeit sich zu verbessern.
Ja, heute kann ich dir leider kein leichtes Rezept anbieten, wie du es als Leser dieses Newsletters gewohnt bist. Aber ein Trost: Wenn du richtig schnell laufen kannst, dann ist der Laufstil völlig egal.
In meinen 34 Jahren als Trainer habe ich Läufer und Läuferinnen gesehen, die mir Augenschmerzen verursachten, aber am Ende doch siegten.