Die Gelegenheit bot sich schneller als erwartet. Wie angekündigt, möchte mal über aus meiner Sicht läuferische „Eigenarten“ und Ansichten berichten, denen ich seit 15 oder 20 Jahren regelmäßig auf meinen Trainingsstrecken begegne und der die Leistungen aus meiner Sicht nicht gerade explodieren läßt.
Oft frage ich mich, woher manche Angewohnheiten oder Ansichten von Läufern kommen. Diese müssen ja irgendwo propagiert werden.
Pulser
Heute trägt man Pulser... und bremst sich damit in seiner läuferischen Entwicklung sehr oft aus. Ohne scheint es nicht mehr zu gehen. Wenn du dich auskennst, ihn richtig eingesetzt und dabei bedenkst, das es nur eine Hilfsgröße ist, ok. Auch wenn du übergewichtig bist oder ihn krankheitsbedingt einsetzt. Aber doch bitte nicht als gesunder, normalgewichtiger Läufer gleich bei jedem Pieps bei XYZ Schlägen pro Minute die große Panik bekommen und in läuferische Schockstarre verfallen. Was mußte ich unterwegs schon für unglaubliche Weisheiten diesbezüglich von Läufern belauschen. „Bloß nicht über 130 Schläge! Das ist ganz gefährlich!“ Peter Greif hat bereits hier über die Genauigkeit der Pulsmessung geschrieben!
Als die Pulser in den 90er Jahren aufkamen, gab es einen schönen Spruch: „Wir schenken allen Kenianern einen Pulsmesser und in 5 Jahren laufen die so schnell wie die Deutschen!“
Also, lass deinen Pulser immer öfter mal zu Hause, lauf los und höre auf dein Körpergefühl. Das brauchst du auch im Wettkampf! Laß es einfach mal vom Tempo her richtig krachen ohne ständig auf den Puls zu schauen. Deine Leistung wird es dir danken.
Du mußt auch nicht ständig mit dem GPS unterwegs sein. Wenn du dich auf dein Körpergefühl verläßt und deine Uhr dabei hast, dann kannst du deine gelaufenen Streckenlängen bald sehr gut einschätzen. Wenn du z.B. 15 km auf deinem Plan hast, dann ist es wirklich am Ende unerheblich ob du 14,8 oder 15,2 km gelaufen bist.
Laufstil
Um es gleich vorwegzunehmen, ich bin auch keine Gazelle was den Laufstil angeht. Aber das ist auch nicht das was ich meine. Immer häufiger begegnen mir aber Läufer, die quasi ohne Vortrieb laufen. Es ähnelt eher einem Hüpfen auf der „Stelle“. Das interessante daran ist, wenn man die gleichen Personen an einer Ampel sieht, die gleich auf rot springt, dann können sie deutlich mehr Vortrieb entwickeln und mit Speed über die Straße laufen. Es scheint ein Phänomen zu sein, das man etwas Besonderes machen möchte, wenn man Laufschuhe anhat.
Ich gebe zu, ich bin ein leidenschaftlicher Tango-Tänzer. Die wichtigste „Figur“ bei Tango ist das Gehen. Einfach geradeaus gehen. Dort gibt es das gleiche Phänomen. Die Leute kommen zu Fuß zur Tanzschule, gehen die Treppen hoch, alles ganz normal. Kaum haben sie Tanzschuhe an, können sie plötzlich nicht mehr gehen. Sie versuchen krampfhaft irgend etwas besonders zu machen. Vergessen was sie bereits in frühster Kindheit gelernt haben.
Mein Tipp: auch hier könnten die von mir bevorzugten Barfuß-Laufschuhe eine Hilfe sein.
Ich laufe nur zum Spaß
Was ich nicht mehr hören kann, ist der Satz: „Ich laufe nur zum Spaß“. Meine Antwort: „Was denkst du warum ich gelaufen bin oder laufe?“. Was soll das denn heißen? Wir haben damit keinen Pfennig verdient, sondern sind natürlich nur aus reinem Spaß gelaufen. Es macht Spaß schnell zu laufen. Wenn du einmal das Glücksgefühl erlebt hast mit einer Bestzeit ins Ziel zu laufen, dann weist du was ich meine. Anschließend fliegst du tage- oder wochenlang über deine Trainingsstrecken.
Nach meinem Artikel letzte Woche erhielt ich etliche Emails mit dem Inhalt: „Es gibt doch keinen logischen Grund, wenn ich als Hobbyläufer mit gleichem Zeit-Einsatz (Trainingsplan!!) einen höheren Ertrag erzielen kann, dies nicht zu nutzen. Ebenso gibt es als Hobbyläufer keinen Grund die Ernährung zu vernachlässigen.“
Übertraining
Nein, du bist nicht übertrainiert. Jedenfalls nicht wenn du 3, 4, 5 oder 6 mal die Woche läufst. Außer vielleicht du hast einen körperlich anstrengenden Job, der dich täglich 8-12 h belastet. Vermutlich wirst du dann aber nicht mehr laufen gehen. Woher kommt also der Gedanke an Übertraining? Wird das in einschlägigen Laufzeitschriften oder im Internet angedroht? Immer wieder wird uns die Frage gestellt von Läufern, die 4 mal die Woche trainieren und sich aus welchen Gründen auch immer schlapp fühlen. So schnell geht das mit dem Übertraining nicht. Wir haben über Wochen 13 Einheiten pro Woche absolviert, neben dem Studium irgendwo gejobbt und waren nicht übertrainiert.
Also, statt Panik vor einem nicht vorhandenen Übertraining zu haben, gehe an 1 oder 2 zusätzlichen Tagen in der Woche laufen! Jede zusätzliche Trainingseinheit bringt dich voran!
Trinken
Zum Thema Trinken im Training und Wettkampf hat Peter Greif an dieser Stelle oftmals berichtet. Die Artikel finden sich alle in unserem Newsletter-Archiv. Darin wird zur Notwendigkeit der Flüssigkeitsaufnahme sowie zur Leistungsentwicklung alles gesagt.
Auf meiner 5 km Trainingsrunde kam mir bei ca. 13 Grad Celsius einmal ein Läufer mit 2 Trinkflaschen (eine mit roter und eine mit blauer Flüssigkeit) entgegen. Ich konnte nicht umhin ihn zu fragen, ob er damit eine Art zusätzliches Krafttraining macht. Antwort: „Nein, die brauche ich zum trinken“. Er kam mir auf der Runde nur einmal entgegen, lief also nur 5 km. Das mit 1 Liter Iso-Plörre. Viele die mir bei Temperaturen unter 20 Grad begegnen, sind schwer mit Trinkgurten beladen. Auch sie sind oft nicht mehr als 10 km unterwegs (aus reinem Interesse frage ich nach). Woher kommt diese Trinksucht?
Ich sehe es ein bei Ultra-Läufern die a) mehr als unsere 35 km Trainingsläufe machen und b) für Ultraläufe trainieren, bei denen es im Gelände nicht regelmäßig Verpflegungsstände gibt.
Unter 25 Grad sind wir unsere 35er grundsätzlich ohne Getränkeaufnahme gelaufen. Ab 25 Grad stand dann eine Wasserflasche auf unserer Runde hinter einem Baum.
Trainings-Tagebuch
Der allgemeine läuferische Leistungseinbruch in den 90er Jahren ging zeitlich einher mit der Entwicklung des Internets. Ob es einen Zusammenhang gibt? Blieb den Menschen weniger Zeit weil plötzlich Emails beantwortet werden mussten und Facebook & Co Zeit forderten?
Auch wenn ich selbst ein „Internet-Worker“ bin, konnte ich mich nie für Facebook o.ä. erwärmen. Daher sehe ich auch die diversen Trainings-Plattformen, Läuferspiele usw. mit Skepsis. Die 30 oder 45 min, die man noch mehr trainieren könnte, braucht man heute, um die Online-Läuferwelt über seinen heutigen 8 km Dauerlauf zu informieren. Das Ganze natürlich mit Bild und persönlichem Befinden in allen Einzelheiten. Dazu müssen GPS- und Pulsdaten hochgeladen werden. Später muss man noch auf die Kommentare zu seinem Lauf antworten.
Wir haben unser Training natürlich auch dokumentiert. In einem A5-Notizbuch. Das dauerte 3 min. Wenn ich heute nach einem Trainingslauf von 1993 suche, habe ich es ihn 2 min gefunden.