Wie versprochen melde ich mich in dieser Woche noch einmal mit dem Thema 35 km, unserer Marathon-Trainings-Kern-Distanz. In der letzten Woche haben wir diese Strecke aus der Sicht der Orthopäden betrachtet, heute schauen wir uns die Sache noch einmal aus einem anderen Winkel an.
Hast Du Dir eigentlich schon einmal Gedanken gemacht, warum so viele Schreiber, Trainer, Sportwissenschaftler und -mediziner in unserer Szene behaupten, dass die 35 km gar nicht nötig für das Marathon-Training sind? Meist wird berichtet, dass für Breitensportler maximal 30 km Streckenlänge reichen. Und nur ein einsamer Autor in einem kleinen Harzstädtchen beteuert: "Nein, 30 km reichen nicht um einen guten Marathon zu laufen, die genügen höchstens für einen durchschnittlichen bis befriedigenden 42,2 km-Lauf." Ja, wirst Du Dir denken, entweder haben die einen keine Ahnung oder der Peter Greif ist ein Spinner.
Woher kommen diese unterschiedlichen Ansichten? Wie immer gibt es auch dafür Ursachen. Ich werde nachfolgend mit Fakten etwas Licht in die dunkle Kilometermasse bringen:
Als Trainer der LG Seesen trainiere/te ich 73 männliche und 20 weibliche Marathonläufer(innen), von denen der weitaus größte Teil auch die 35 km im Training absolvieren/ten. Die Resultate unserer Bestenliste von 1981 bis 2004:
Die 73 Herren liefen im Durchschnitt 2:36:34!!! (über alle Altersklassen!). Nur 6 davon blieben über 3 h. Die langsamste Zeit erreichte mit 3:18 unser damaliger M65-Läufer, Hans Schüttler.
Die 20 Marathon-Damen der LG Seesen liefen im Durchschnitt 3:02:43!!! Langsamste Läuferin, Rosi Ludowizi, M40, 3:33:32.
Es gibt zwar noch einige langsamere Läufer in unserer Vereins-Bestenliste, diese trainierten aber nicht in unserer LG, sondern gehören/ten dem Lauftreff an. Ebenso konnte ich über die Jahre von 1991 an bis 2005 an mehr als 6000 Läufer(innen) des Greif Clubs meine Erfahrungen sammeln. Ausreichende Vertrautheit mit den Umständen kann man mir sicher nicht absprechen. So kann ich den warnenden Stimmen auch die Spitze nehmen:
1. 35 Trainings-km als längste Einheit vertragen alle leidlich gesunden Läufer(innen), auch Ältere.
2. Alle die nur 30 km oder weniger als längste Marathon-Trainings-Strecke liefen, bekamen Schwierigkeiten auf den letzten Kilometern und erreichten nicht die Zeiten, die sie aufgrund ihrer Halbmarathon- oder 10 km Wettkampfresultate eigentlich hätten laufen müssen.
Warum gibt es nun aber andere Ansichten? Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass diese Warnungen nun nicht zum Spaß in die Läuferwelt gestellt werden. Es gibt schon einen entscheidenden Hintergrund, der scheinbar wissenschaftlich belegt ist. Wenn man jemand, der bisher zum Beispiel nur 25 km als längste Strecke gelaufen ist, 35 km absolvieren lässt, dann hat er zwei Sachen ziemlich sicher:
1. Einen richtig schönen Muskelkater und
2. erhöhte Kreatinkinase-Werte (CK-) im Blut.
Diese Kreatinkinase stammt aus zerstörten Muskelzellen. Der Grund ist eine überbelastete Muskulatur durch den ungewohnten langen Lauf. Es ist nicht bewiesen, aber der Schluss ist zulässig, dass die erhöhte CK-Ausschüttung und der Muskelkater nur zwei Seiten einer Medaille sind. Denn Muskelkater resultiert aus Mikrorissen in den Muskeln. Wahrscheinlich sind diese Mikrorisse auch der Grund für die erhöhte CK-Ausschüttung.
In der neueren Literatur findet man Hinweise darauf, dass es aber gerade der Muskelkater ist, der eine Anpassung an höhere Leistung auslöst. Es kann natürlich auch anders sein: Der Muskelkater ist auch da, wenn ein leistungssteigernder Reiz in der Muskelatur ausgelöst wird.
Muskelkater ist nicht nachteilig, er hinterlässt keine Schäden. Nach 3 Tagen ist er meist verschwunden und mit ihm auch der erhöhte CK-Wert. Nun ist es aber so, das überdurchschnittliche CK-Analysen eine Menge Ärzte ganz nervös machen, denn CK ist auch ein Marker für einen Herzinfarkt. Nach einem Marathonlauf kann durchaus das CK-Muster eines schweren Infarkts auftauchen. Darum fragen Mediziner auch ihre Patienten mit solchen Blutwerten meist nach der sportlichen Betätigung am Vortag.
Andere Ärzte wiederum ziehen in Bezug auf den Sport nun folgenden Schluss: Wenn bei jedem 35 km-Training eine Menge Muskelzellen zerstört werden, dann ist ein Training einer solchen Streckenlänge auch schädlich, denn auch wenn ein 35 km-Lauf nach einer Woche wiederholt wird, bleiben die CK-Werte erschreckend hoch.
So kommt die Empfehlung zustande: "Laufen Sie nicht so weit, sie zerstören ihre Muskulatur!" oder "Wenn Du 35 km läufst, dann kannst Du danach tagelang nicht mehr richtig trainieren!"
Aber Bangemachen gilt nicht! Wie sieht es denn in der Praxis aus? Wenn Du Dich das 1. Mal auf die lange Runde machst, dann wirst Du danach kaum gehen können, alles schmerzt, es ist furchtbar. Dein Blut ist überschwemmt von Kreatinkinase. Erst 4 Tage später bist Du wieder locker.
Ignorierst Du alle diese Anzeichen und probierst es am nächsten Wochenende noch einmal, dann sind zu Deiner großen Verzweifelung Schmerz und Werte genau so hoch wie in der Vorwoche. Auch bei der dritten Strecken-Probe ist es noch kaum besser, aber so eine kleine Ahnung bekommst Du schon, dass es nicht mehr ganz so schlimm ist.
Die große Überraschung kommt aber beim 4. Lauf über die 35 km! Jetzt kommst Du ohne Schmerzen durch, es läuft einfach. Deine Muskeln haben sich in wundersamer Weise der Belastung angepasst, sie sind ausdauernder und leistungsfähiger geworden. Das spürst Du auch ganz genau, Du weißt, Du hast es geschafft, Du bist glücklich und ahnst, dass Dein Holger Meier nun seinen Druck bekommt.
Auch wenn Du jetzt Deine CK-Werte messen lassen würdest, sind diese im erhofften niedrigen Bereich. Es ist bekannt, dass die besttrainierten Athleten auch die niedrigsten CK-Analysen aufweisen.
Es ist nun aber absolut nicht nötig, dass Du Dir Deine Kreatinkinase bestimmen lässt, Dein nachlassender Muskelkater ist das positive Zeichen einer erfolgten Anpassung an erhöhte Leistung. Dennoch einen geringen Muskelkater wirst Du nach jedem 35 km-Lauf haben. Das soll auch so sein, denn ein Anpassungsreiz ist erwünscht.