Der Titel "Sport und Alter: Die schrecklichen Wahrheiten" geht dich nichts an, denn du bist noch jung oder du fühlst dich noch jung? Denkste! Du solltest besser doch an dieser Stelle weiter lesen, denn 1. giltst du ab 30 Jahren biologisch, ich will es mal sanft ausdrücken, als nicht mehr jung. Und 2. kannst du, auch wenn du erst Anfang 20 bist, ziemlich sicher sein, dass dein fortschreitendes Alter dir bald deine Grenzen aufzeigen wird.
Hast du aber schon mehr als vier Lebensjahrzehnte hinter dir, dann spürst du so langsam, dass es bei dir auch nicht mehr ganz so flutscht, wie in deinen Zwanzigern. Das Alter fordert sein Tribut, da hilft kein Pudern oder Schminken, kein Lifting und kein Botox, nicht mal Doping.
Diesen Wahrheiten musst du dich stellen und darum hole ich jetzt erst einmal den großen Spiegel raus, damit du siehst, was dir noch alles blüht. Aber tröste dich, es wird alles halb so schlimm. Ich werde dir auch später Wege aufzeigen, wie du dir Fallschirme baust, um nicht zu schnell im Altersloch zu versinken. Und es gibt sogar Möglichkeiten in diesem bösen Loch noch Aufwinde zu erzeugen.
Abbildung 1
Ob du nun Sprinter oder Marathoner bist, es geht ab 45 Jahren gnadenlos abwärts mit der Leistung. Aber ein Trost von 800 m bis 42,2 km ist der Leistungsabfall bis in die M55 doch sehr moderat. Das zeigt sich auch immer wieder in der Praxis. Bis Mitte des 5.-Lebensjahrzehnt werden im Marathon teilweise noch unerwartet gute Leistungen erzielt. Danach geht aber die Leistungskurve fast linear abwärts.
Aber warum werden wir langsamer? Was sind die Gründe?
Abbildung 2
Der Blutdruck steigt, unsere Blutgefäße sind nicht mehr so elastisch wie in jungen Jahren und Ablagerungen verengen diese. Die Folge, das Herz muss mehr leisten und kann damit nicht mehr die gleichen Mengen an Substrat an die Zellen liefern.
Abbildung 3
Ganz böse ist, dass wir die Fähigkeit verlieren mit schnellen Schritten zu laufen und das geht schon in den 30-gern los. Gerade hier können wir etwas tun. Die Schrittfrequenz können wir erhalten. Denn wenn fast 70-jährige Trommler (Musiker) durch dauerhafte Übung genauso schnell oder sogar noch schneller als junge auf das Fell klopfen können, dann ist es nicht einzusehen, dass es uns nicht gelingen sollte im hohen Läuferalter auch schnell mit den Füßen auf die Straße trommeln zu können. Kleiner Hinweis: Tempoflextraining!
Abbildung 4
Abbildung 5
Was trotz altersbedingten Leistungsrückgang noch möglich ist zeigen die Abbildungen 4 und 5. Sie sind leider nur aus dem Jahr 1994. Neuere Daten waren nicht zu beschaffen. In der Altersklassen-Bestenliste 2009 von Reckemeier sind diese Tabellen nicht mehr enthalten.
Auch die Altersklassen-Weltrekorde im Marathon (Abbildung 5) sind nicht ganz aktuell weil aus 1988. Sie zeigen aber dennoch hier den schon in Abbildung 1 zu sehenden leichten Leistungsabbruch nach der M55.
Abbildung 6
Abbildung 7 (Quelle: Sport und Training)
Abbildung 8 (Quelle: Sport und Training)
Sehr interessant auch die nach Alter gestaffelten Marathonrekorde in den USA (Abbildungen 7 und 8). Hier gehen die Leistungen bei den Männern in den 50-ern noch einmal deutlich nach oben. In einer retrospektiven Selbstbetrachtung freute ich mich, dass der USA-Rekord für 41-jährige mit 2:19:18 nur gut 5 min von meiner Bestleistung entfernt liegt, die ich 1984 in diesem Alter mit 2:24:12 aufstellte.
Abbildung 9
Diese Freude war ganz schnell vorbei, als ich die brutalen Zahlen des Rückgangs der maximalen Sauerstoffaufnahme in Abbildung 9 sah. Mit 30 ist Feierabend mit dem Anstieg dieser wichtigsten Leistungskomponente. Tröstlich ist, dass bei uns der nachfolgende Abfall deutlich langsamer fortschreitet als bei den Untrainierten. Das ist unser Lohn für viele Stunden Fußarbeit.
Abbildung 10
Mit Abbildung 11 lässt sich der Bezug zu Abbildung 3 herstellen. Dort wird gezeigt, dass die Fähigkeit zum schnellen Zugriff auf die Muskelfasern (Frequenz) im Alter stark nachlässt. Das äußert sich dann im fortgeschrittenen Alter bei 1% Muskelabfall/Jahr mit einer zunehmenden Sturzgefahr. Du lächelst? Kommt alles, du musst nur lange genug durchhalten.
In dieser Hinsicht muss ich einen großen Teil der Läufer(innen)gemeinde heftig kritisieren. Krafttraining wird erheblich vernachlässigt. Ein Beispiel: In unserem gerade abgelaufenen Trainingsurlaub in Kemer/Türkei boten wir vor dem Lauftraining jeden Morgen ein Athletiktraining (Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Dehnung) über 20 min an. Von durchschnittlich anwesenden 65 Personen kamen ebenso durchschnittlich nur 25 zu diesem Training.
Abbildung 11
Die Wahrheiten aus Abbildung 12 wurden schlicht und einfach von der Mehrzahl der Teilnehmer ignoriert, obwohl ihnen durch einen Vortrag von mir diese Umstände bestens bekannt waren. Aber das läuft alles nach dem Motto ab, welches lautet: "Ja, das mag für die anderen gelten, aber nicht für mich. Ich bin anders und habe ein Kraft- und Koordinationstraining nicht nötig.
Und gerade an dieser, so überaus weit verbreiteten Denkungsweise verzweifelt so mancher Trainer. Es gilt nur die Selbsterfahrung. Der Hinweis vom Trainer auf den Stolperstein wird ignoriert. Um diesen als Gefahr wahrzunehmen, muss sich erst ein jeder auf die Klappe legen und sich notfalls ein Bein brechen. Dann glaubt man dem Trainer.
Wenn ich es mir richtig überlege, dann habe ich früher genau nach den Grundsätzen gehandelt, die ich jetzt kritisiere. Tiefer hinterfragt, scheint das eher ein philosophisches als ein sportliches Problem zu sein.
Dich selbst wird es sicher nicht betreffen. Mit einem zusammengekniffenen Auge gehe ich davon aus, dass du zu der Sorte von Menschen gehörst, die jede Warnung des Trainers ernst nehmen.
In den nächsten Wochen kannst du noch zwei Newsletter mit dem Thema "Sport und Alter" erwarten. Und du wirst dich wundern, was da noch so alles auf dich zu kommt, im positiven, wie auch im negativen Sinne.
Quellenangaben: Alle Grafiken sind, wenn nicht anders bezeichnet, aus dem Buch "Sportbiologie, Jürgen Weineck, 10. Auflage" entnommen.