Am Ende meines Artikel von vor 14 Tagen bei der wir die Frage behandelten: "Wie wird Ausdauer entwickelt?" blieb eine Frage unbeantwortet: "Wieso entwickelt sich ein grundschneller Läufer wie Ansgar um so vieles langsamer als einer, der wie Wolfgang bei den schnellen Sachen immer hinten rumgurkt?
Die Beantwortung dieser Frage ist für dich essentiell, denn es hat entscheidende Bedeutung für die Entwicklung deiner läuferischen Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten sind im größtem Maße in deiner Muskulatur gespeichert. Deren Faserzusammensetzung entscheidet, ob deine Talente in Richtung Ackergaul oder Rennpferd gehen oder etwas anders ausgedrückt, ob du eher ein Sprinter- oder ein Ausdauertyp bist.
Die unten aufgezeichneten 3 Fasertypen sind die wichtigsten, die uns interessieren. Es ist wohl so, dass der Typ von Muskelfaser, der in deinem Muskel dominiert, fast schicksalhaft dein Talent bestimmt. Wenn deine Antriebselemente zu 90% aus Roten Fasern (Typ 1) bestehen, dann bist du der geborene Ausdauersportler. Im Gegensatz dazu könntest du dich jeden Tag mit Sprinttraining herumplagen, du würdest zwar schneller, aber niemals ein überdurchschnittlich guter Sprinter.
Genau so gut kann jemand mit 90% weißer Muskulatur vom Typ 2B, der Sprintermuskulatur, auch niemals ein richtig guter Marathonläufer werden. Anders ist der Fall bei jemand gelagert, der auch schnell ist, diese Schnelligkeit aber zum großen Teil aus Fasern des Typs 2a/c schöpft. Er kann sich nach beiden Seiten entwickeln, schnell und oder ausdauernd werden. Wahrscheinlich sind heute alle Spitzenläufer von 1500 - 10000 m mit zumindest einem großen Anteil dieser Muskulatur ausgestattet. Denn allein mit einer Ausdauermuskulatur kann ein Bekele die letzten 200 m eines 10 km-Rennens nicht in 24 sec laufen.
Entscheidend für uns ist aber, dass wir wissen, egal welcher Typ Muskelfaser auch vorherrscht, wir alle grundsätzlich auch Anteile von allen anderen Fasern in uns tragen. Das bedeutet aber auch: Jeder Mensch kann durch Training grundschneller und jeder kann auch ausdauernder werden. Unterschiedlich ist nur der Grad der Anpassung und was für uns von ganz großer Bedeutung ist: "Wie lange dauert diese Anpassung?"
Bevor du nun lange überlegst, welche Sorte Fasern in deinen Muskeln überwiegt, sollte dir klar sein, dass die meisten Menschen Mischtypen sind, sie haben von allen etwas. Damit sind sie leider aus dem Kreis der potentiellen Olypiasieger in unserer Sportart ausgeschlossen. Aber wenn du auch zu denen gehörst, die nicht 98% Ausdauermusklen haben, hast du eine gute Chance weit nach vorn zu kommen, wenn du nur richtig trainierst und Geduld hast!!
Der typische Athlet mit überwiegend roten Muskelfasern vom Typ 1, kann sich glücklich schätzen. Der entwickelt seine Lauffähigkeiten überragend schnell. Er unterscheidet sich dadurch von dem "normalen" Lauftreffler, dass ihm das Training ganz wenig Beschwerden bereitet. Diesen Typen kannst du schnell erkennen. Immer quasselt er, schweigt auch nicht am Berg, ist ständig zu einer Tempoerhöhung bereit und war im ersten Volkslauf 2 Plätze hinter und im nächsten schon 15 Plätze vor dir.
Du bist nach einer 15 km-Runde völlig fertig, kannst dich mit Mühe noch auf den Beinen halten, weil dir alles weh tut und dieser rotfaserige Sauerstoffverpasser meint: "Wollen wir noch eine kleine Runde dran hängen?" Da bleibt dir nur die Notlüge als Ausweg: "Schade, ich wäre gerne noch ein paar km gelaufen, aber ich habe noch einen Termin heute abend!" Im Stillen denkst du: "Um Himmelswillen, ich bin fertig wie noch nie! Aber diesem Holger-Meier Fuzzy werde ich es irgendwann noch einmal zeigen"
Kannst du! Wirklich, diese Leute sind schlagbar! Du brauchst nur wenige Dinge: Den Willen ihn zu besiegen, Zeit, richtiges Training und Geduld. Als erstes erklärst du ihn zu deinem Spezialgegner, zu deinem ganz persönlichen Holger Meier. Schon morgens wenn du aufwachst, solltest du davon träumen, wie du ihn schon geduscht und frisiert im Ziel begrüßt, um ihm mit einigen netten Worten zu seinem überragenden Erfolg gratulierst.
Wie kann ich denn nun aber Holger bezwingen, wenn der doch aufgrund seiner scheinbar optimalen Faserzusammensetzung deutlich talentierter ist als ich? Erst einmal: So oft wie möglich in der Woche laufen und so viele km machen wie es geht. Denn du hast nur die eine Chance, aber die ist groß: Du musst deinen Typ2-Fasern das Laufen beibringen.
Dazu musst du aber deine Komfortzone verlassen und bereit sein unangenehme Dinge zu ertragen: Muskelkater, Energiemangel und Steifheit. Helfen wird insbesondere dabei die einmalige 35 km Runde in der Woche. Ich will dir die Wirkungen eines Ausdauertrainings am Beispiel dieser 35 km-Strecke erklären, damit du auch verstehst, warum du sie auch schon im Dezember laufen solltest.
Wenn du zu einer langen Runde startest, dann verrichten deine Muskeln erst einmal ihre gewohnte Arbeit. Bei dem ruhigen Tempo setzt dein Organismus überwiegend die Roten Muskelfasern ein. Das ist nun nicht so, dass bei jedem Schritt den du machst, alle Fasern einer Muskel auf einmal kontrahieren, sondern das Gehirn spricht immer rundherum andere Fasern an. Gewissermaßen schont es die, die gerade gearbeitet haben und nimmt die nächsten, die sich schon wieder erholt haben. So steuert es nach und nach alle die Fibrillen an, die als lauffähig bekannt, also trainiert sind.
Nach einer gewissen Zeit, wenn du das Maß deiner größten Streckenlänge erreicht hast, meldet dein Körper seine Müdigkeit an. Deine dem Gehirn als lauffähig bekannten Fasern sind erschöpft, energielos und mit Stoffwechselprodukten angefüllt. Deine mentale Steuerung gibt dir jetzt die Meldung: "Schluss aus nicht mehr weiterlaufen, alle fähigen Fasern sind müde!" Zur Verstärkung dieser Botschaft sendet es gleich eine Welle Erschöpfungsgefühl, Schmerz und Unbehagen mit.
Und nun bist du genau an dem Punkt angelangt, an dem die 3-Minuten-Eier dieser Welt ihr Training abbrechen. Aber genau an diesem Punkt fängt die Effektivität deines Trainings erst an! Wenn du jetzt mit deinem Geist und Willen gegensteuerst und die Unlustmeldungen ignorierst, dann sagt sich dein Gehirn sinngemäß: Na ja, die Roten Fasern sind alle müde, aber da sind ja die weißen, die können diesen Job zwar nicht richtig, aber die haben wenigstens noch Energie.
Und dann eierst du unkoordiniert weiter, denn die weißen Fasern haben den Laufbewegungsablauf noch nicht gelernt und ermüden noch schnell. Zudem schwallen die jetzt völlig überlasteten Roten Arbeiter dir immer wieder ihre Kraftlosigkeit in das Gehirn. Was in diesen Minuten oder Stunden jetzt nach dem Überschreiten deiner bisherigen Fähigkeiten passiert, ist mit das Unangenehmste was einem Läufer(in) zustoßen kann. Du schleppst dich nur noch dahin.
Du brauchst einen ganz großen Willen und Schmerzresistenz um die 35 km bis zum Ende zu bringen. Zu Hause fühlst du dich, als wärest du unter einen Elefanten geraten. Aber du kannst dich freuen, du hast den ersten Schritt getan, deinen weißen Fasern das Laufen beizubringen. Wenn du aber jetzt aufgrund der unangenehmen Gefühle in ein Jammertal versinkst und sagst: "Nie wieder!", dann hast du eine große Chance vertan. Du darfst auch nicht 2 oder 3 Wochen warten, bis du den zweiten Versuch auf dieser langen Strecke startest, dann ist der Reiz auf die Typ 2-Muskulatur schon wieder vergessen und du musst wieder von vorn starten.
Unter allen Umständen musst du in der nächsten Woche wieder auf die Strecke und musst abermals diese Tortour ertragen. Und das Schlimme ist, es wird wieder genauso wehtun wie beim ersten Mal. Deine weißen Fasern haben das Ausdauerlaufen nämlich immer noch nicht gelernt. Auch beim dritten Durchgang schmerzt es noch, aber irgendwie hast du das Gefühl, dass es schon ein kleines bisschen besser geht. Auch in deine vierte Große Runde gehst du noch mit Angst, spürst aber plötzlich, dass der Schmerz kaum noch spürbar ist. Diese blöden weißen Fasern haben es endlich begriffen, was du von ihnen willst: Ausdauernd laufen.