Wie geht es deinen weißen Fasern? Hast du sie schon mit einem langen Training gereizt? Wenn ja, dann trainiere weiter, jeder zusätzliche km den du läufst, schult deine Muskeln in Richtung Ausdauer. Du wirst dich sicher fragen: Sind denn nun die durch das Trainieren von 4x35 km rekrutierten weißen Fasern so ausdauernd wie die roten? Leider nein, der Anpassungsprozess der intermediären Fasern an Ausdauer dauert sehr lange. In dieser Entfaltungszeit wirst du das nötig haben, was ich immer wieder von Langsteckenläufer(innen) fordere: Geduld.
Es dauert 5-10 Jahre bei einem maximal möglichen Trainingseinsatz, bis alle zur Verfügung stehenden Muskelfasern optimal auf die Ausdauer eingestellt sind. Wenn du aber nicht mit dem vollen Zeiteinsatz trainierst, was in der Regel der Fall sein wird, dann kann das sogar 20 Jahre dauern oder wie es in fast allen Fällen ist: Die möglichen Fähigkeiten werden gar nicht erst ausgeschöpft.
Junge Mittelstreckler werden mit dem Alter immer ausdauernder, aber langsamer im Endspurt, weil in einem schleichenden Prozess schnelle Fasern umgebaut werden. Bis deren Muskeln aber die Ausdauer der Roten Fibrillen eines Marathoners entwickelt haben, kann es länger als ein Jahrzehnt dauern.
Uns allen ist noch der Angriff von Dieter Baumann auf die Marathonstrecke ein Begriff. Eigentlich war der gute Dieter ja ein von einem Mittelstreckler umgeschulter 5000 m-Läufer. Er gewann seine olympische Silber- und Goldmedaille nicht durch seine überragenden Ausdauerfähigkeiten, sondern es war immer sein Endspurt, der Kick, den er auf den letzten Metern entwickelte, war der Garant des Erfolges. Und so ein Kick kommt garantiert nicht aus dem roten Bereich einer Muskulatur.
Nun aber einige Jahre später wollte Dieter Baumann mit 1-2 Jahren Marathontraining den 42,2 km-Himmel einreißen. Seine schmähliche Aufgabe in Hamburg, war auch die Kapitulation seiner weißen Fasern, vor der für sie zu langen Strecke und einem zu hohen Anfangstempo.
Immer wieder höre ich von überaus durchschnittlichen Läufern: "Wenn man zu viele km läuft, wird man langsam." Dann laufen mir die Tränen über das Gesicht vor soviel Verblendung. Ausdauertraining macht schneller! Was nicht mehr so gut kommt, ist die Fähigkeit eine überdurchschnittliche Sprintgeschwindigkeit im Endspurt zu entwickeln.
Das ist genau so, wenn zwei gleich talentierte 10 km-Läufer beginnen ihre 40 min-Bestzeit aufzuwerten. Der eine absolviert ein strukturiertes Ausdauertraining und ist innerhalb von 3 Jahren bei 36 min. Beispiel: Er verliert aber in einem Rennen im Kampf um den 18. Platz einen Rang gegen einen Endspurtschnelleren.
Der andere der Angst hat, vor den vielen km, weil die angeblich langsam machen, trainiert nur wenig Umfang. Nach 3 Jahren steht er erst bei bei 39 Minuten und bleibt im gleichen Rennen im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Sieger im Sprintendkampf um den 89. Rang. Und du kannst Gift darauf nehmen: Diese Holger Meier Type geht zu dem 36 min-Läufer und sagt: "Wenn du das gemacht hättest, was ich dir gesagt habe und nicht so viele km trainiert hättest, dann wärest du jetzt schneller und hättest den Spurt gewonnen." Dann wirft er voller Stolz den Kopf in den Nacken und geht.
Spaß? Nein, das ist bittere deutsche Realität. Solche und ähnliche Sprüche habe ich nur allzu oft gehört. Diese sind das seelische Brot derer, die zu faul oder zu verblendet zum nützlichen Training sind, aber ihre trainingsmethodische Überlegenheit dennoch darstellen müssen.
Die Idee, durch weniger Umfang zu besseren Zeiten auf den Strecken von 5-10 km zu kommen, ist auch in folgendem Satz eines 42jährigen verborgen: "Ich will im nächsten Jahr erst einmal etwas für meine Grundschnelligkeit tun und intensiver, aber kürzer trainieren." Das wird leider nicht klappen, denn die Grundlagen der Schnelligkeit werden in der Jungend bis maximal 25 Jahren entwickelt. Mit 42 geht es nur noch um die Erhaltung dieser Fähigkeiten.
Merke dir bitte diesen Kernsatz: Die besten 5-, 10- und Halbmarathonzeiten werden in der Regel von Marathonläufern in den Jahren gelaufen, in denen sie auch ihre besten 42,2 km-Zeiten erzielen.
Nun aber zurück zu den Muskeln: In der Literatur wird oft beschrieben, dass es durch jahrelanges Ausdauertraining möglich ist, weiße in rote Fasern umzuwandeln. Ob das wirklich so ist, wird noch kontrovers diskutiert, aber es ist sicher so, dass die intermediäre Muskulatur ähnlich ausdauerfähig wird wie die rote.
Es ist nun aber nicht so, dass du dir einmal ein Trainingspensum in Tempo und Umfang zulegst und die Leistung schon kommen wird. Da kennst du deine Muskeln nicht! Nach einiger Zeit des gleich bleibenden Trainings kichern die nur noch über die gestellten Anforderungen. "Das kennen wir doch, dass schaffen wir allein, die weißen Typen von nebenan lassen wir weiter pennen, die können doch so oder so nicht richtig laufen!"
Eine Aufweckeinheit zeigt dieses Beispiel aus unserem individuellen Club-Trainingsplan-Programm, welches am 01.12.05 bei einigen auf dem Plan steht. Diese Programm wurde für einen Läufer erstellt, der im Frühjahr die 10 km unter 40 min laufen möchte.
3 x 3000 m Temposteigerungsläufe. Laufe die ersten 500 m in 2:25 Tempo, wechsele auf den zweiten 500 m auf 3:07 min, die nächsten 500 m in 2:19 min und wechsele danach wieder auf das langsamere Tempo, den folgenden 1/2 km in 2:14 min und danach gehst du wieder runter auf die langsamere Geschwindigkeit. Nachfolgend 1000 m Trabpause und das Ganze 3-mal wiederholen. Beachte: Die Tempoteile werden immer schneller!
Pulsbereich schnell 145 - 158, langsam 124 - 130.
Muskeln und Gehirn handeln opportun. Wenn sie genügend Fasern zur Bewältigung ihrer von dir gestellten Aufgaben gesammelt haben, stellen sie die Neurekrutierung von weißen Fasern für die Ausdauerarbeit ein und begnügen sich mit den bekannten Bereichen. Damit wird sich deine Leistung aber auch nicht mehr großartig weiter entwickeln. Nicht allein dies, die weißen Fasern verlieren sofort wieder ihre frisch erworbenen Ausdauerfähigkeiten, wenn sie nicht immer wieder an die neu erworbene Kunst erinnert werden. Sie fallen dann sofort wieder in den alten Trott.
Wer keine neuen Reize setzt, hat es doch aber wirklich gut: Alles flutscht, nichts schmerzt, keine Überwindung ist nötig, Glück flutet durch die Joggerwelt. Die Foren sind voll diesen (geilen) Glücksläufern. Und wer mehr will, ist ein "Profi" oder "Sch....-Leistungssportler". Das ist genau so wie in die Schule gehen und jedes Jahr denselben Stoff wiederholen. Die Bildung schreitet zwar nicht fort, aber alles ist so wunderbar. Da kommen dann auch Glücksgefühle auf, wenn der 17jährige erstmals eine 1 in einer Mathearbeit schreibt, die das kleine Einmaleins behandelt.
Training ist auch eine Schule: Wenn nichts Neues gebracht wird, geht es auch nicht mehr vorwärts. So bringt aber im Gegensatz dazu die Reogarnisation eines Trainings das ganze Szenario einer Leistungsstagnation wieder in Schwung. Es heißt neue Reize setzen. Der größte Reiz, den du nutzen kannst, ist die Erhöhung der Anzahl der Einheiten pro Woche. Ein Tag mehr bringt schon viel. Natürlich kannst du auch andere Ausdauerreize setzen, wie eine allgemeine Umfangs- oder Intensitätserhöhung oder die Erweiterung deiner längsten Trainingsstrecke.
Auch die Herabsetzung der Intensität, kann durchaus bei einigen sehr hilfreich sein!!
Weitere sehr starke Reize sind die Änderungen der gelaufenen Einheiten, wie zum Beispiel: Statt 10 km Parktrott, 3x2500m am Anschlag (aerob/anaerober Übergangsbereich) und dazwischen je 1000 m-Trabpause. Das macht Spaß, überfordert nicht und bringt dich in Schwung. In jedem Jahr im Dezember geht bei uns im Club die Jammerei los: "Letztes Jahr haben wir doch zu dieser Zeit das Diesunddas-Training absolviert und damit war ich supererfolgreich und jetzt soll ich ganz etwas anderes trainieren. Da kann doch nicht richtig sein, wenn es im letzten Jahr so gut geklappt hat."
Doch das ist richtig! Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Nur wenn er neue Reize bekommt, wacht er auf aus seiner Lethargie. Starke Reize setzen auch Wettkämpfe. Diese sind bei vielen Läufern(innen) oft das einzige Entwicklungsstimulans, welches platziert wird. Oft aber werden heute zu wenige Rennen gelaufen, so dass diese im viel zu weiten Abstand gesetzten Reize verpuffen.
Die Entwicklung geht zur Zeit dahin, dass zu viele von uns nur noch auf Marathon setzen und entsprechend wenige Rennen absolvieren. Eine überdurchschnittliche Leistungsentwicklung wird aber erst erreicht, wenn mindestens 12 Wettkämpfe/Jahr bestritten werden.
Warum ein einzeln gesetzter Wettkampfreiz völlig sinnlos ist, kannst du wieder an dem Beispiel der Schulung der weißen Fasern festmachen. Wenn du diese Schulung nicht sofort wiederholst, gibt es für den Organismus keinen Grund die erworbenen Fähigkeiten zu erhalten. Im Gehirn wird das erworbene Bewegungsmuster nicht gespeichert. Anders bei sich ständig wiederholenden Mustern, diese werden sinngemäß in den Kortex eingebrannt und können nach mehrjährigem Training auch Jahre später wieder abgerufen werden.