Wie lang ist denn Ihre Nr. 1?
Damit meine ich Ihre längste, regelmäßig wöchentlich gelaufene Trainingsstrecke. Oder sind Sie jemand, der immer die gleiche Kurslänge läuft? Wenn ja, dann kann ich Ihnen nur raten: Ändern Sie das, wenn Sie schneller werden wollen.
Ein Beispiel: Die beiden eineiigen Zwillinge Thorsten und Alexander trainieren an verschiedenen Orten jeweils fünfmal die Woche, dabei kommen Sie beide auf 80 km. Nur eines ist verwunderlich, die Leistung von Alexander steigt steiler als die von Thorsten. Beide analysieren gemeinsam ihr Training und stellen fest, dass Thorsten jeden Tag immer wieder nur 16 km (seine Nummer 1!) läuft. Alexander hingegen variert seine Streckenlängen. Er hat den Rhythmus 8, 20, 10, 35 (seine Nummer 1!) und 7 km. Alexander muss sich bei seinen zwei langen Einheiten zwar richtig anstrengen, kommt auch ziemlich "fertig" nach Hause, aber die drei wöchentlichen kurzen Einheiten machen ihm gar nichts aus. Die sind erholsam und ruhig. Thorsten fühlt sich zwar niemals richtig kaputt, aber muss sich doch jeden Tag wieder anstrengen. Leichte Tage kennt er nicht.
Bessere Laufleistung durch Trainingsreize
Und genau dies ist der Punkt! Wenn die Längen Ihrer einzelnen Einheiten zu dicht beeinander liegen, dann fühlen Sie sich zwar jeden Tag wieder belastet, aber dennoch ist das Training stereotyp. Ihr Organismus verrichtet nur seine übliche, ihm bekannte Arbeit, denn Trainingsreize werden nicht gesetzt. Ihr Körper hat keinen Grund sich an höhere Leistung anzupassen. Ihr Training wird so unwirksam wie das von Thorsten!
Ganz anders sind die Übungen von Alexander angelegt. Speziell die langen 35 km-Einheiten fordern seinen Organismus sich an erhöhte Erwartungen anzupassen. Die nachfolgenden kurzen Strecken dienen dann nur der Regeneration. Gerade in dieser Zeit setzt dann die Anpassung an höhere Leistung ein, deren Grundlage die 35 km waren. Alexander erzielt erheblich größere Leistungszuwächse als sein Bruder.
Bei der Betrachtung des Trainings der Zwillinge habe ich aus aus Übersichtsgründen das Tempo einmal außer Acht gelassen. Doch auch hier gilt: Tempovariation ist genau genauso wichtig wie die Variation des Umfangs. Dazu werde ich in einer der nächsten Ausgaben dieses Newsletters noch kommen.
35 km-Einheiten in der Marathon-Vorbereitung
Dieser Tage bekam ich einige Mails bezüglich meines letzten Newsletters mit dem Titel "Marathon-Versager". Alle Schreiber setzten sich mit der dort auch behandelten 35 km-Einheit auseinander. Sie waren erstaunt, das man so lange laufen müsse, denn "überall" steht doch nur etwas von "nicht länger als 30 km". Jemand schrieb: "Ich bin völlig erstaunt über die Forderung nach so einer langen Trainingsstrecke, 35 km kann man doch gar nicht laufen, danach dauert die Regeneration viel zu lange. Dieser Meinung sind alle, mit denen ich laufe."
Ich schrieb ihm zurück: "Leider hast Du die falsche Gruppe erwischt, hier bei uns in Seesen würde man Dich trösten: "Drei mal musst Du dich fürchterlich quälen, um die 35 zu schaffen, dann bist Du durch und alles wird leichter!" Was so eine Gruppe ausmacht, zeigt sich bei unserem Lauftreff. Die kämen niemals auf die Idee, keine 35 km in ihrer Marathonvorbereitung zu laufen. Denn alle mit denen sie trainieren, sagen ja ...!
Was dabei herauskommt, wenn Sie die oben beschriebenen Trainings-Prinzipien anwenden, können Sie hier auf der ewigen Marathon-Bestenliste der LG Seesen sehen, deren Trainer ich seit 24 Jahren bin (die Damen stehen weiter unten). Sie werden sich vielleicht wundern, dass dort ganz aktuelle Zeiten fehlen. Das liegt unter anderem daran, dass ich meine Aktivitäten für dieses Ehrenamt in den letzten Jahren sehr eingeschränkt habe bzw. aus Zeitgründen einschränken musste.
Kostenlose Marathon-Trainingspläne von Greif
Aus einigen Mails konnte ich auch herauslesen, dass die Schreiber meine beiden kostenlosen Marathon-Trainingspläne "Count-Down zur Bestzeit" und "Heißes Feuer im alten Ofen" nicht kennen. Dort ist vieles mehr zu dem obigen Thema nachzulesen.
Kritiker der langen 35 km-Einheit in der Marathonvorbereitung werfen mir vor, dass die Dauer dieses Trainings bis an vier Stunden viel zu lang ist, es wären orthopädische Schäden zu befürchten. Das ist ein ziemlich blamabeler Vorwurf! Werden denn für die über 4 h-Läufer(innen) die 42,2 km im Wettkampf kürzer, wenn die nur 30 km im Training laufen? Mitnichten, an diesem Tag laufen sie 40% weiter als bei ihrer längsten Einheit.
Die Gefahr steckt nicht im Training, sondern im Wettkampf, denn dort gibt es verständlicherweise genug Menschen, die unter allen Umständen ihren Marathon beenden wollen, egal wie die Knochen auch schmerzen. Und je weniger sich diese Personen an die lange Strecke gewöhnt haben, desto größer werden ihre orthopädischen Schäden sein.
Zum Schluß möchte ich noch eines anfügen: Dieser Newsletter richtet sich an ein spezielles Publikum, er ist gedacht für ehrgeizige Langstreckenläufer(innen). Wer sich nicht dazu zählt, braucht auch nicht die oben beschrieben langen Einheiten zu laufen. Man kommt auch ohne 35 km-Training in das Ziel, besonders dann, wenn es der erste Marathon ist. Niemand sollte sich sorgen es nicht zu schaffen, weil meine Vorgaben unerfüllbar erscheinen. Diese Zeilen dienen nur dazu, Sie zu informieren, Ihnen Hoffnung zu machen und zu zeigen, was es sonst noch für Training auf dieser Welt gibt.